Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Sonntag, 5. Oktober 2014

My B/log has something to tell you about... die glorreichen 40!

  
Die FIFA plant, die Spielerinnen legen Beschwerde ein. Die FIFA entscheidet, die Spielerinnen klagen. Das Ganze ist eine Ode an den Kunstrasen, im positiven und negativen Sinne. Die einen mögen es, die anderen verabscheuen es. Reine Geschmackssache? Sepp Blatter wird jedenfalls (wie immer eigentlich) vom Geschmäcklerischem geleitet: "Kunstrasenfelder sind grün" ließ er sicherheitshalber in seinem Testament dem FIFA Regelheft festhalten. Es liegt also auf der Hand, was 2015 den_die Flitzer_in ablösen könnte: Die Kunstrasen-Guerilla, die bei Nacht und Nebel vor dem Eröffnungsspiel das grüne Plastik von Edmonton in schwarz-pink glitzerndes Totenkopfmuster einfärbt.

Es ist ja folgendermaßen: FIFA-Chef Blatter möchte gerne, dass die Frauen bei der WM 2015 in Kanada auf Kunstrasen spielen. Das ist eigentlich nicht sonderlich verwunderlich. Das Kräftemessen der besten Fußballerinnen der Welt diente schon immer als willkommener Rahmen für allerlei absonderliche Regelversuche, bevor diese dann salonfähig der breiteren Öffentlichkeit bei den "echten" Turnieren der Männer eingesetzt werden. Das Golden Goal gab es zunächst bei den Frauen und wurde nach dem Test als tauglich eingestuft. Man probierte ein "Time Out" pro Team und Halbzeit, das sich zum Glück nicht weiter durchsetzte. Blatter wollte auch die Spielaufteilung in drei Drittel (ergo mehr Werbepausen) bei den Frauen testen lassen, die Idee kam aber anscheinend sehr schlecht an und wurde gar nicht erst angewandt. Für alles, was Materialkosten verursachte, waren die Frauen dann aber wohl doch nicht gut genug: Freistoßspray und Torlinientechnologie wurden nicht auf Frauenturnieren "vorgetestet".

Jetzt also der Kunstrasen. Macht ja Sinn, Blatter möchte perspektivisch mehr Gebiete für Großturniere erschließen (solange die Knete stimmt) und da darf auch die Sahara oder der Nordpol nicht aus dem Raster fallen. Kunstrasen ist vor allem eins: pflegeleicht und witterungskompatibler. Und vor allem eins nicht: knochen- und hautschonend. Hier kommen die Spielerinnen ins Spiel. Denen ist das verständlicherweise viel zu blöd die Mutter aller Turniere auf Geläuf zweiter Klasse auszutragen und sich dabei blutige Beine und gerissene Bänder abzuholen. Da könnte ja jeder kommen und sagen: oh, heute waren Stollenschuhe leider aus, aber hier sind ein paar prima Sneaker, regnet zwar, aber geht doch schon, oder? Wären wir Nadine Angerer oder Abby Wambach, wir würden auch gleich wieder rückwärts aus der Kabine rausfallen. Ist ja auch einfach ein Wahnsinns-Angebot, ihr dürft eine WM statt auf Rasen auf Kunststoff spielen, ein Untergrund, den ihr überhaupt nicht gewöhnt seid, mit höherer Verletzungsgefahr und ganz anderem Balltempo! Wer würde da nicht laut Ja schreien?! Kurze Erinnerung: In Brasilien wurde haufenweise Wohnraum für den guten WM-Rasen abgeholzt, in Kanada heißt die Devise sparsam: man nimmt, was man kriegen kann. Dabei gäbe es wohl Möglichkeiten, in Michigan wurde diesen Sommer für ein Spiel zwischen Manchester United und Real Madrid einfach Naturrasen über den Kunstrasen gelegt. Andererseits wären das ja aber wieder Materialkosten, und wir haben ja eben gelernt...


Gegen den "Turf" haben mehr als 40 Spielerinnen jetzt eine Klage beim Ontario Human Rights Tribunal in Toronto eingereicht. Darunter unter anderen: Nadine Angerer, Abby Wambach, Samantha Kerr, Caitlin Foord, Fabiana Da Silva Simões, Katherine Alvarado, Diana Saenz, Camille Abily, Elise Bussaglia, Yuki Ogimi, Jackie Acevedo, Teresa Noyola of Mexico, Abby Erceg, Hannah Wilkinson, So Yun, Verónica Boquete, Alexandra Morgan und Heather O’Reilly.

Und wir! Wenn wir dürften! Stattdessen planen wir schonmal das Muster für das Plastik im Finale.

Sepp Blatter kam übrigens auf schon so manche wahnsinnige Ideen wie Drittelzeiten statt Halbzeiten. Gibt es alles hier zum lesen und noch 110 Dinge mehr!





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